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Michigan: Kann der Rostgürtel recycelt werden?

Bernd Herrmann

19. Februar 2009
Von Bernd Herrmann
Von Bernd Herrmann

Detroit: Ford, General Motors, Chrysler. Hier begann 1908 mit dem Model T die Massenmotorisierung. Der zweite Exportschlager, das Motown-Label, hat seinen Namen eben daher - Detroit ist Motor City, Motor Town, Motown. In Kürze könnte das Vergangenheit sein.

Motown ist lange schon weg. 1972 zog das Label von Michigan nach Kalifornien - vom „Rostgürtel“ in den „Sonnengürtel“. Damals begann der Niedergang. 1950 hatte Detroit 1,85 Millionen Einwohner; heute sind es etwa 900.000, davon über 80 Prozent Schwarze. Das Phänomen der „white flight“ (Flucht der Weißen)  hat Detroit besonders hart getroffen. Eine Reihe von Gemeinden im Umland (der Ballungsraum hat 4,5 Millionen Einwohner) ist wohlhabend. Im alten Detroit blieben vor allem die zurück, die anderswo nicht hinkonnten. In den USA sind das meist die Schwarzen. In vielen der alten Industriezentren stellen sie mittlerweile die Mehrheit der Bevölkerung.

Vom Rost- in den Sonnengürtel

Die Krise trifft Michigan besonders hart. Die Arbeitslosenrate, mittlerweile bei etwa elf Prozent, ist die höchste der USA. Wobei sich diese Zahlen mit den deutschen nicht vergleichen lassen - zu anders der Arbeitsmarkt, zu anders die Sozialsysteme. Elf Prozent Arbeitslosigkeit in den USA sind wie 25 Prozent in Deutschland - aber die Folgen fallen viel gravierender aus. Elf Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit in Michigan insgesamt - an die 21 Prozent in der mit Abstand größten Stadt des Staates, in Detroit ... und von Zuwendungen wie Hartz IV, kann man in den USA nur träumen.
In den USA hat das soziale Netz große Löcher, wenig Taue. Große Teile von Detroit sind Niemandsland, teils weil dort niemand mehr lebt, teils weil keiner hingeht, der dort nicht leben muss. Fahre ich mit Bekannten nach Detroit, lautet, erreichen wir das Stadtgebiet, die Anweisung: Ab jetzt bleiben die Autotüren verriegelt! Das mag etwas paranoid sein, spiegelt die Atmosphäre aber treffend wider.

Ein amerikanisches Freiburg?

Etwa 50 Kilometer westlich von Detroit liegt Ann Arbor. Auch hier sieht man vor Eigenheimen vermehrt Verkaufsschilder (2007 noch eine Seltenheit). Aber Ann Arbor ist anders aufgestellt als Detroit. Ann Arbor ist Unistadt, ein Drittel der Einwohner sind Studenten, viele Jobs haben mit Wissen, Gesundheit, Forschung und Dienstleistungen zu tun.

Ähnlich wie in deutschen Unistädten (Tübingen ist Ann Arbors älteste Partnerstadt) geht es politisch links-liberal bis grün zu. Ein amerikanisches Freiburg ist Ann Arbor dennoch nicht und es wird wohl auch nie werden. Außer ein paar Buslinien gibt es keinen öffentlichen Nahverkehr, und Solar- und Windenergie haben angesichts der harten Winter - Tornados gibt es zudem - wenig Perspektive. Ohne Auto geht hier nicht viel. Die Stadt, obwohl klein, geht in die Fläche. Ansätze, die in Europa möglich sind, lassen sich angesichts einer über Jahrzehnte gewachsenen, aufs Auto zugeschnittenen Infrastruktur nicht umsetzen.

Umweltpolitik und Verkehrserziehung

Vorschläge, den Verkehr umweltfreundlicher zu machen, fallen bescheiden aus. Auf der Seite www.ecodrivingusa.com, einer Initiative, die von mehreren Governeuren, darunter auch Michigans Jennifer Granholm, unterstützt wird, versucht man, Bürgerinnen und Bürger zum Spritsparen zu bewegen: Keine Kavalierstarts, auf den richtigen Reifendruck achten, den Wagen regelmäßig warten ... und so weiter. Verkehrt ist das nicht. Aber eine grüne Wende?

Fahren wir zurück nach Detroit. - Türen verriegelt? Gut. - In einem ersten Schritt hatte die US-Regierung der Autoindustrie (General Motors und Chrysler - Ford verzichtete) 13,4 Milliarden Dollar Nothilfe bewilligt. Dieser Betrag wird jedoch nur bis Ende März 2009 reichen. Am 17. Februar 2009 mussten GM und Chrysler einen Businessplan vorlegen, der zeigen soll, wie mit staatlicher Hilfe die Wende gelingen kann. Der Tenor: Entlassungen, Werkschließungen, spritsparende Modelle, Elektroautos. Daneben soll, so die Gewerkschaft mitmacht, die Rentenversicherung für ehemalige und aktuell Beschäftigte gestrichen werden.

Kranken- und Businessplan für die Autokrise

Die Regierung wird diese Pläne prüfen und dann entscheiden, ob es weitere Zuschüsse und Kredite gibt. Für Obama, der angetreten ist, eine allgemeine Krankenversicherung zu schaffen, wird es nicht leicht. Soll er Jobs - möglicherweise für nur kurze Zeit - retten? Und wie kann eine allgemeine Krankenversicherung gelingen, wenn Firmen angesichts der Krise ihre Versicherungsleistungen streichen?

Was neue Automodelle angeht, sieht es nicht gut aus. Der Chevrolet Volt, ein Elektroauto, soll frühestens 2011 auf den Markt kommen. Ob er sich dann verkauft, ist fraglich - nicht nur weil andere Hersteller fixer sind, sondern auch weil die Infrastruktur und entsprechend der Marktanteil für Elektroautos noch kaum vorhanden ist. Zukunftsträchtig sind Elektroautos - nur ob Detroit den langen Atem für deren Einführung hat?

Wandel in den Kommunen?

Ein anderer Ansatz ist die Ansiedlung von Biotechnologie. Hierfür sprechen die zahlreichen Unis und Labors - nicht zuletzt in Ann Arbor. Da Obama angekündigt hat, das von Bush verhängte Verbot der Forschung mit Stammzellen aufzuheben, sind die Aussichten nicht schlecht. Daneben fördert Michigan neuerdings die Filmindustrie. Beide Bereiche haben Potenzial. Den Anstieg der Arbeitslosigkeit konnten sie nicht verringern, und noch weniger werden sie die anstehenden massiven Jobverluste ausgleichen können. Wie es in Flint, Michigan aussieht, weiß man seit Michael Moores Film „Roger and Me“. Das war 1989. Seither hat sich dort nichts zum Besseren gewendet.

Politischer Wandel ist auf kommunaler Ebene nicht abzusehen. Detroits Politik ist geprägt von Vetternwirtschaft und Korruption. Kwame Kilpatrick wurde 2002 zum Bürgermeister gewählt. Mit 31 Jahren war er seinerzeit der jüngste OB einer US-Großstadt - ein Zeichen der Hoffnung und des Wandels, könnte man meinen. Mehrere Skandale später trat er im September 2008 zurück und wurde zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.

Ein Marshallplan für Detroit

Ein Einzelfall ist das nicht. Im Nachbarstaat Illinois versuchte Gouverneur Blagojevich unlängst Barack Obamas vakant geworden Sitz im Senat meistbietend zu verkaufen. Ob es Obama gelingen kann, die Fehler im System, die zu derartigem Missbrauch führen, zu beseitigen, ist fraglich. Da sind die Lobbyisten. Da ist auf kommunaler Ebene aber auch die Zersplitterung der Gemeinden in viele kleine Einheiten, die häufig für bestimmte Einkommens- und soziale Gruppen stehen. Auf Ebene der Bundesstaaten und Kommunen jedoch - und diese werden für die Umsetzung des Konjunkturpakets wesentlich sein - hat der Präsident wenig zu melden. Wenn überhaupt, ist Wandel hier nur möglich, wenn es Obama gelingt, den Einsatz seiner Anhänger für die Arbeit des Regierens aufrecht zu erhalten.

An Ideen, was sich mit dem Geld aus dem Konjunkturpaket tun ließe, mangelt es nicht. Die Stadtverordnete JoAnn Watson hat einen „Marshallplan für Detroit“ vorgeschlagen. Kernpunkte sind mehr Bildung und eine grüne Infrastruktur. Wie das genau funktionieren soll, ist alles andere als klar. Frühere Versuche, Detroit wieder zu beleben, hatten geringen Erfolg. Ende der 1970er Jahre wurde das Renaissance Center als Zentrale von GM eröffnet (nun muss es vielleicht verkauft werden). Es folgten neue Sportstadien, um Menschen wieder in die Innenstadt zu locken. Es blieb bei Oasen der Erneuerung, die, obwohl zentral gelegen, mit der Stadt wenig Kontakt haben. Geht man in Detroit ins Stadium, sieht man schwarze Spieler, schwarze Kartenabreißer und ein fast durchweg weißes Publikum. Nach der Arbeit, dem Einkauf, dem Spiel verschwinden die meisten sofort in die Vororte, in denen sie leben.

Postindustrielle Kulturwirtschaft

In den letzten Jahrzehnten kam ein Welterfolg aus Detroit. Ab Mitte der 1980er Jahre entstand hier eine Variante der House-Musik: Techno. Der Detroit-Techno war von Anfang an postindustrieller Soundtrack, Beat des Niedergangs. Dass aus einer tiefen Krise neue, erfolgreiche Musik entstehen konnte, zeigt: Das Ende des Alten kann auch ein Anfang sein kann. Allerdings zeigt die Dialektik von Hardware und Software: Digitale Güter wie Musik lassen sich vergleichsweise billig schaffen, lassen sich einfach neu abmischen. Hardware - analogen Schrott - zu Neuem zu recyceln, ist erheblich schwieriger.

Bernd Herrmann ist Internet-Referent in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Heinrich-Böll-Stiftung.
Kontakt: herrmann@boell.de